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Verhaltensauffälligkeiten frühzeitig ansprechen

Asam wirkt bedrückt und kommt nicht mehr in die Pause; Nadine reagiert gereizt auf Anweisungen; der zuverlässige Joël kommt innerhalb einer Woche zweimal zu spät. Wenn Berufsbildende bei ihren Lernenden Verhaltensauffälligkeiten feststellen, sollten sie diese lieber früher als später ansprechen. Denn: «Zu früh» gibt es nicht.

Regula Jakob

Das Ansprechen von Verhaltensauffälligkeiten bei Lernenden stellt Berufsbildende vor Herausforderungen. Besonders gross ist die Unsicherheit bei psychischen Auffälligkeiten. Oft wird abgewartet, bis genug «Beweise» für eine Auffälligkeit gesammelt sind oder ein Fehlverhalten mehrfach auftritt. Dass Lernende von sich aus frühzeitig über ihre Belastungen reden, ist selten. Abwarten ist also nicht zielführend. Hinzu kommt, dass das Mitgefühl von Vorgesetzten für psychisch belastete Mitarbeitende über die Zeit nachweislich nachlässt.
Es ist daher zentral, dass Berufsbildende Verhaltensauffälligkeiten im Ausbildungsalltag möglichst frühzeitig ansprechen. Wie gehen sie das Gespräch am besten an?

  • Beobachtung formulieren: Das Gespräch soll informell und ungezwungen sein – es sollte also keine «grosse Sache» gemacht werden. Im Zentrum steht die Frage, wie es den Lernenden geht. Beim ersten Gespräch geht es darum, die Beobachtung/das Gefühl zu formulieren und der Sorge Ausdruck zu verleihen. Die Zeit für Lösungen kommt später.
  • Passenden Moment wählen: Die lernende Person kann in einer Pause kurz zur Seite genommen und gebeten werden, nach dem Mittag bei der Berufsbildnerin bzw. dem Berufsbildner vorbeizukommen. Zwischen dieser Einladung und dem Gespräch sollte nicht zu viel Zeit verstreichen, damit sich die lernende Person nicht zu lange sorgen muss, was los ist.
  • Richtige Worte wählen: Es sollten eigene Wahrnehmungen formuliert und maximal zwei Punkte angesprochen werden. Eine Beobachtung kann folgendermassen formuliert werden: «Mir ist aufgefallen, dass du nicht mehr mit uns in die Pause kommst.» Ein Gefühl könnte so ausgedrückt werden: «Ich habe den Eindruck, dass es dir nicht so gut geht.»
  • Reaktionen einordnen: Wiegelt die lernende Person ab, sollte davon ausgegangen werden, dass deren Selbstwahrnehmung stimmt. Die Reaktion kann so quittiert werden: «Ich bin froh, dass es dir gut geht. Trotzdem bin ich nach wie vor besorgt. Ich schlage vor, dass wir uns in zwei Wochen nochmals darüber austauschen, wie ich die Situation wahrnehme.» Räumt die lernende Person Probleme ein und beschreibt, wie es ihr geht, ist Wertschätzung angezeigt. «Danke, dass du mir erzählst, wie es dir geht.» Zudem sollte das weitere Vorgehen geklärt werden. «Kannst du das Problem selber angehen oder wünscht du Unterstützung durch mich oder eine andere Stelle?»
  • Vorschnelle Lösungen vermeiden: Das Gespräch kann folgendermassen beendet werden: «Danke für das offene Gespräch. Lass uns beide darüber nachdenken, wie du unterstützt werden kannst. Dann treffen wir uns Ende der Woche nochmals, um gemeinsam zu überlegen, wie wir weiter vorgehen.» Schnelle Lösungen stehen also nicht im Vordergrund.

Zur Person

Regula Jakob ist Psychologin MSc und in dieser Funktion bei WorkMed AG, Zentrum für Arbeit und psychische Gesundheit, tätig. Sie berät und schult Arbeitgebende und Berufsbildende im Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitenden oder Lernenden und coacht direkt Betroffene im Umgang mit individuellen Ressourcen und Herausforderungen. Zudem führt sie arbeitspsychiatrische Abklärungen mit Personen durch, welche unter Arbeitsproblemen leiden. Ihr Ziel ist der Erhalt oder die Wiederherstellung psychischer Gesundheit in Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Dabei stützt sie sich auf Erkenntnisse aus Praxis und Forschung. Forschungsberichte und Publikationen, insbesondere zum Thema Ausbildung und psychische Gesundheit, können unter www.workmed.ch eingesehen werden.

  • WorkMed

Jede Woche erscheint in Berner Tageszeitungen der «Einsteiger» – ein redaktioneller Beitrag zu den Themen Berufswahl, Berufsbildung, Mittelschulbildung, Weiterbildung.

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