Ist der Personalbestand knapp, kann die Ausbildung von Lernenden zur Herausforderung werden. Um die Qualität der Ausbildung trotzdem sicherzustellen, braucht es kreative Ideen. Auf Spurensuche in einer Institution des Berner Gesundheitswesens.
Peter Brand
Nach der Coronapandemie war die Nachfrage nach Berufen im Gesundheitswesen hoch. Viele Menschen wollten in diesen Bereich einsteigen. Dieser Trend war jedoch nicht nachhaltig. Die Anzahl der Ausbildungswilligen ist mittlerweile markant eingebrochen. Die Institutionen kämpfen um genügend Fachpersonal.
Kritische Engpässe
Gemäss den Prognosen wird diese Baisse anhalten – auch wenn der Bundesrat dem Mangel an Pflegepersonal mit einer Ausbildungsoffensive begegnet. Bis die geplanten Massnahmen greifen, wird es noch einige Zeit dauern. Bestens vertraut mit der Situation ist Doreen Brunner, Leiterin Bildung im Wohn- und Pflegeheim Utzigen, denn der Personalnotstand macht sich auch in der idyllisch gelegenen Altersinstitution rund um die historische Schlossanlage bemerkbar. «Die Personalressourcen sind knapp», sagt Brunner. «Fallen kurzfristig noch Fachpersonen infolge Krankheit oder Fluktuation aus, wird die Lage besonders kritisch.» Es entstehen Engpässe im Tagesgeschäft, die auch die Betreuung der Lernenden erschweren.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Diese Engpässe zwingen Brunner, neue Wege zu gehen. So organisiert sie beispielsweise Lern- und Arbeitsgemeinschaftstage, an denen drei bis vier Lernende aus dem ganzen Haus im Team zusammenarbeiten. Angeleitet werden sie von einer Fachperson der Abteilung Bildung. Das hat den Vorteil, dass die Berufsbildenden ihrem Tagesgeschäft nachgehen können. «Das ist ein wertvolles Setting», sagt Brunner. «Alle lernen voneinander und eignen sich Kompetenzen an.» Hinzu kommen halb- oder ganztägige Einsätze in einem anderen Bereich des Lehrbetriebs – zum Beispiel in Küche, Wäscherei, Apotheke, Lager oder am Empfang. Das bringt einerseits Entlastung für die Pflegeabteilung, andererseits können die Lernenden den Kreislauf der Arbeit erleben und erkennen, was es alles braucht, damit der Betrieb reibungslos funktioniert.
Schriftliche Lernaufträge
Weiter hat Brunner eingeführt, dass nur eine Berufsbildnerin für die Lernbegleitung von zwei Lernenden zuständig ist. Dies verlangt gutes Zeitmanagement und konsequente Aufgabenteilung. Die Berufsbildenden müssen abschätzen können, ob eine gemeinsame Reflektion möglich ist oder ob sie punktuell und zeitversetzt mit den Lernenden arbeiten müssen. «Wir machen gute Erfahrungen mit diesem Vorgehen», bestätigt Brunner. «Zu Beginn ist es für die Berufsbildenden eine Zusatzbelastung. In der Regel realisieren sie aber bereits nach kurzer Zeit, dass die Aufgabe durchaus machbar ist. An Tagen, an denen wegen personeller Engpässe alle Berufsbildenden ausgelastet sind, stehen den Lernenden praktische Lernaufträge zur Verfügung. Das sind Arbeitsblätter, die sie nach getaner Pflegearbeit in Eigenregie durchgehen und reflektieren können. Da geht es beispielsweise um das Thema «Transfer vom Bett in den Rollstuhl» oder um «Die Wirkung von Salben und Cremen». Das Ergebnis ihrer Reflektion besprechen die Lernenden dann mit einer Fachperson.
Bestmögliche Unterstützung
«Wir lassen uns viel einfallen, um durch den Alltag zu kommen», bilanziert Brunner. «Trotzdem hoffen wir natürlich, dass sich die Rekrutierungssituation bald verbessert. » Mit den innovativen Settings will sie die Lernenden möglichst gut unterstützen und ihnen zeigen, dass sie nicht im vollen Tagesgeschäft vergessen gehen oder nicht wichtig wären. Die Qualität der Ausbildung darf trotz Personalmangel nicht leiden.
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