Eine neue Studie untersucht den Weiterbildungsbedarf und die Weiterbildungswünsche von Berufsbildenden in der Schweiz. Was lässt sich darüber sagen? Nachgefragt bei Autorin Nadia Lamamra. Sie ist Leiterin des Forschungsfelds Integrations- und Ausschlussprozesse an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB.
Peter Brand

Frau Lamamra, wie kam es zu dieser Studie?
Ich hatte bereits eine erste, vom schweizerischen Nationalfonds finanzierte Studie über die Situation der Berufsbildenden durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit realisierten wir, wie wenig Interesse diesen Personen entgegengebracht wird, obwohl sie eine tragende Säule des dualen Systems sind. Wir schlugen in der Folge mögliche Handlungsoptionen vor. Eine betraf die Weiterbildung, insbesondere die Entwicklung der pädagogischen Kompetenzen, eine andere die Anerkennung der Funktion. Bei der Präsentation der Ergebnisse lernten wir Thomas Rentsch von der Stiftung TOP-Ausbildungsbetrieb kennen. Wir hatten eine ähnliche Sicht auf die Dinge, und so erhielt ich von ihm den Auftrag zur Durchführung der Studie, die ich zusammen mit meiner EHB-Kollegin Matilde Wenger realisierte.
Was macht das Thema für Sie als Soziologin interessant?
Im Zentrum stand für mich das Interesse an einer Personengruppe, ohne die die Schweizer Berufsbildung zwar nicht existieren könnte, die aber mit beträchtlichen Schwierigkeiten kämpft. Einige Stichworte dazu: geringe Anerkennung, fehlende Zeit respektive fehlende Entlastung für die Ausbildung der Lernenden, ein komplexes Spannungsfeld von produktiver und pädagogischer Arbeit sowie mangelnde Weiterbildung. Wir wollten mit der Studie dazu beitragen, dass die Berufsbildenden ihre Funktion besser ausüben können.
Wie sind Sie die Arbeit angegangen?
Dank der ersten Studie konnten wir die Fragen im ersten Teil gezielter stellen. Die früheren Ergebnisse ermöglichten uns ebenfalls, die Interviews schneller zu analysieren. Wir ordneten sie thematisch und ergänzten sie mit Interviews aus der Romandie und aus dem Tessin. Auf dieser Grundlage erstellten wir den Fragebogen, der online über die Organisationen der Arbeitswelt und die Kantone verteilt wurde. Innerhalb eines Monats erhielten wir mehr als 5000 Antworten von Berufsbildenden. Das zeigt, dass sie das Interesse an ihrer Situation und ihren Bedürfnissen schätzen.
Die Resultate liegen nun vor. Welches sind die wichtigsten Ergebnisse?
Zum einen beschreibt die Studie die aktuelle Situation der Berufsbildenden. Hier fällt auf, dass 76 Prozent von ihnen keine Freistellung für die Ausbildung der Lernenden haben, dass ihre Aufgabe im Spannungsfeld von produktiver und pädagogischer Arbeit komplex ist, und viele verschiedene Aufgaben und Rollen umfasst. Weiter wird ersichtlich, welche Rahmenbedingungen sich die Betroffenen wünschen: zu über 80 Prozent eine zeitliche Entlastung für die Ausbildungsaufgabe, zu über 60 Prozent einen anerkannten Status im Unternehmen und zu über 50 Prozent ein Engagement des Unternehmens.
Zum anderen?
Viele Äusserungen der Befragten beziehen sich auf die Weiterbildung. Sie zeigen, welche Themen, Formate und Durchführungszeiten sie sich wünschen. Dies gibt uns Aufschluss darüber, dass sie die Angebote als echte berufliche Weiterbildungsangebote betrachten. Und schliesslich erlauben die Ergebnisse auch, Profile von Berufsbildenden zu identifizieren: die Enthusiasten (sie interessieren sich für Weiterbildungen zu unterschiedlichsten Themen), die Gleichgültigen (sie zeigen sich gegenüber Weiterbildung zurückhaltend), die Begleitenden (sie möchten die Lernenden bewusst ins Erwachsenen- und Arbeitsleben begleiten) und die Engagierten (sie möchten trotz Schwierigkeiten pragmatisch und gut ausbilden können).
Welche Relevanz haben die Resultate auf die künftige Gestaltung der Weiterbildung?
Die Ergebnisse sind auf verschiedenen Ebenen hilfreich. Zunächst konnten wir Themen identifizieren und so ein angepasstes Angebot erstellen. Zweitens ermöglichen die Antworten zu den Formaten die Ausarbeitung gezielter Angebote je nach Branche und Unternehmensgrösse, die den Bedürfnissen und der Verfügbarkeit der Personen entsprechen. Und schliesslich erlauben die verschiedenen Profile eine gezielte Botschaft und modulare Angebote, wobei zu berücksichtigen ist, dass nicht alle Berufsbildenden gleich sind.
Wurden aufgrund der Studie bereits Massnahmen eingeleitet?
Ja, in Zusammenarbeit mit dem Bereich Weiterbildung und dem Zentrum für Berufsentwicklung der EHB wurde ein Angebot von zehn Kursen zusammengestellt. Ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Stiftung TOP-Ausbildungsbetrieb ist dieses nun über SwissEduPro zugänglich.
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