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Lehre mit Schutzstatus S – «Wir sollten weniger klagen und mehr wagen»

In der Schweiz leben rund 5000 ukrainische Jugendliche und junge Erwachsene. Der Schutzstatus S ermöglicht ihnen, eine berufliche Grundbildung zu absolvieren. Die Licht- und Wasserwerk Adelboden AG (LWA) bildet mit Oleksandr Bai einen jungen Ukrainer zum Elektroinstallateur EFZ aus. Im Gespräch: Berufsbildner René Allenbach.

Rolf Marti

Chancen für beide Seiten: René Allenbach (links) und Oleksandr Bai.

Was motiviert Sie, einen Jugendlichen mit Schutzstatus S auszubilden?
In unserer Branche herrscht Fachkräftemangel. Es ist schwierig, geeignete Lernende zu finden. Zudem geben wir immer auch Jugendlichen eine Chance, die auf den ersten Blick nicht optimale Voraussetzungen mitbringen. Wir machen die Erfahrung: Motivation ist das entscheidende Kriterium für den Lernerfolg.

Wie ist es zum Lehrverhältnis mit Oleksandr Bai gekommen?
Olek hat sich für eine Schnupperlehre beworben und uns überzeugt. Der Wille, eine Ausbildung zu machen, war sofort spürbar. Während der Schnupperlehren – er kam zweimal zu uns – hat er engagiert gearbeitet und einen guten Eindruck hinterlassen. Auch der Eignungstest fiel überzeugend aus. Es gab keinen Grund, ihn nicht in die Lehre zu nehmen.

Lehrbeginn war im Sommer 2024. Wie haben Sie die erste Zeit mit Oleksandr Bai erlebt?
Er hat sich sehr gut ins Team integriert. Herausfordernd ist zuweilen die Verständigung, obwohl Olek schon sehr gut Deutsch spricht. Trotzdem müssen wir uns dann und wann die Zeit nehmen, ihm das eine oder andere in Ruhe zu erklären. Aber das ist bei Lernenden aus der Region oft auch so, und eine Viertelstunde liegt dafür immer drin. In der Berufsfachschule kommt er sehr gut mit.

Wirkt sich die psychische Belastung der Fluchterfahrung auf die Ausbildung aus?
Davon haben wir bisher nichts mitbekommen. Aber wir hätten auf jeden Fall Verständnis dafür, dass die Situation in der Ukraine für Olek belastend sein kann. Darauf würden wir sicher Rücksicht nehmen und ihn nach Möglichkeit unterstützen.

Müssen Lehrbetriebe bei Lernenden mit Schutzstatus S spezifische administrative Vorkehrungen treffen?
Nein, formal läuft alles ganz normal ab. Es braucht keine speziellen Bewilligungen oder so. Einzig das Staatssekretariat für Migration (SEM) fragt ab und zu telefonisch nach, wie es geht. Und nach der Probezeit mussten wir dem SEM den Bildungsbericht einsenden. Mehr nicht.

Würden Sie andere Lehrbetriebe ermutigen, jungen Menschen mit Schutzstatus S eine Lehrstelle anzubieten?
Unbedingt. Da eröffnen sich Chancen für beide Seiten – für die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer wie für die Betriebe. Wie gesagt: Viele Branchen haben Fachkräftemangel. Wir sollten aber weniger klagen und dafür mehr wagen. Wobei das Wagnis überschaubar ist. Im schlimmsten Fall kann man das Lehrverhältnis nach der Probezeit auflösen, wie bei jedem anderen Lehrverhältnis auch.

«Gute Deutschkenntnisse sind der Schlüssel zum Erfolg»

Oleksandr Bai kam 2021 in die Schweiz. Er absolvierte zunächst die 9. Klasse der Volksschule, danach war er ein Jahr am Gymnasium. Wegen sprachlicher Herausforderungen wechselte er ins Berufsvorbereitende Schuljahr der BFF Bern, wo er sich auf den Einstieg in eine berufliche Grundbildung vorbereitete. Er schnupperte in verschiedenen Berufen, letztlich fiel die Wahl auf Elektroinstallateur EFZ. «Mein Wunschberuf», sagt Oleksandr Bai. «Der Beruf ist intellektuell wie handwerklich anspruchsvoll. Diese Kombination gefällt mir.»

Die Suche nach einer Lehrstelle sei für ihn weniger schwierig gewesen als für andere, sagt Oleksandr Bai. Nach zwei Schnupperlehren beim LWA und einem erfolgreichen Eignungstest erhielt er die Lehrstelle. In der Berufsfachschule komme er gut mit. Einzig die deutsche Sprache sei weiterhin ein Handicap. Doch daran arbeite er: «Ich lerne täglich zwei bis drei Stunden – mit Onlinekursen und Lern-Apps. Gute Deutschkenntnisse sind der Schlüssel zum Erfolg».

Die Unterstützung, die er durch seinen Lehrbetrieb erfahre, sei sehr hilfreich, erklärt Oleksandr Bai. «Ich kann mich jederzeit mit Fragen an meine Vorgesetzten und Teamkollegen wenden.» Anderen Jugendlichen aus der Ukraine macht er Mut, eine Lehre anzupacken: «In der Ukraine gibt es dieses Bildungsangebot nicht. Aber die Lehre ist ein guter Weg, um in der Schweiz und im Schweizer Arbeitsmarkt anzukommen». Er kann sich vorstellen, später eine höhere Berufsbildung im Berufsfeld zu machen.

Licht- und Wasserwerk Adelboden AG (LWA)

Das LWA ist der Versorgungspartner aus Adelboden für Energie aus erneuerbaren Quellen, für Wasser und für Kommunikationslösungen. Es leistet täglich einen Beitrag für eine nachhaltige Energie-, Elektro- und ICT-Zukunft. Das Unternehmen bildet Lernende in den Berufen Elektroinstallateur/-in EFZ, Montageelektriker/-in EFZ, Multimediaelektroniker/-in EFZ, Netzelektriker/-in EFZ, Detailhandelsfachfrau/-fachmann EFZ sowie Kauffrau/Kaufmann EFZ aus.

  • Licht- und Wasserwerk Adelboden AG

Schutzstatus S und Lehre

Jugendliche mit Schutzstatus S haben Zugang zur Berufsberatung, dürfen Schnupperlehren absolvieren und eine berufliche Grundbildung (EFZ, EBA) antreten bzw. einen Lehrvertrag abschliessen. Vor Antritt der beruflichen Grundbildung brauchen sie eine Arbeitsbewilligung der kantonalen Arbeitsmarktbehörde. Sollte der Bundesrat den Schutzstatus S während der Lehre aufheben, kann die Ausreisefrist für Lernende bis zum Abschluss der beruflichen Grundbildung verlängert werden. Lernende und Lehrbetriebe müssten in diesem Fall einen Antrag beim Staatssekretariat für Migration stellen.

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