Aufenthalte in einer anderen Sprachregion sind bereits während der Lehrzeit möglich. Die Lernenden können damit interkulturelle Erfahrung sammeln, ihre Sprachkompetenzen verbessern, Selbstvertrauen tanken und ihre Arbeitsmarktfähigkeit steigern. Davon profitieren auch die Lehrbetriebe.
Peter Brand
Der Kanton Bern setzt bewusst auf mehr Zweisprachigkeit und Mobilität in der Berufslehre. Die Berufsfachschulen verfügen über diverse Angebote in diesem Bereich. So auch das Bildungszentrum Interlaken BZI. Sein Mobilitätsprogramm beinhaltet unter anderem ein dreiwöchiges Betriebspraktikum in einem europäischen Land mit ordentlichem Schulbesuch und Unterbringung in einer Gastfamilie. In den gewerblich-industriellen Lehrberufen findet ein gegenseitiger Austausch statt. Das heisst: Diese Lernenden bilden Tandems mit Auszubildenden aus den europäischen Ländern. Sie besuchen sich gegenseitig. Lernende aus dem Bereich Wirtschaft hingegen absolvieren ein Betriebspraktikum kombiniert mit einer Sprachschule in England. Auch sie sind in einer Gastfamilie untergebracht, aber nicht in Tandems organisiert.
Besuch und Gegenbesuch
«Die Vorteile eines solchen Aufenthalts liegen auf der Hand», sagt Daniel Fuss, Geschäftsinhaber der ES Elektro Seftigen AG. «Die Lernenden leben Mobilität und erleben eine andere Kultur. Zudem eignen sie sich neues Know-how an und entwickeln sich in dieser Zeit persönlich weiter.» Einer seiner angehenden Elektroinstallateure absolvierte letztes Jahr einen solchen Austausch. Er bildete dabei ein Tandem mit einem Auszubildenden aus Lüneburg. Der Schweizer Lernende war zuständig für die Beherbergung und private Betreuung seines norddeutschen Berufskollegen. Die ES Elektro Seftigen AG war verantwortlich für die fachliche Betreuung und Anleitung des Gastlernenden. Dieser durfte diverse Ausgelernte auf Baustellen begleiten und aktiv mitarbeiten. Nach dem Besuch in Seftigen fand der dreiwöchige Gegenbesuch in Lüneburg statt.
Wertvolle Horizonterweiterung
Daniel Fuss zieht eine positive Bilanz aus dem gegenseitigen Aufenthalt. «Der Austausch über Schulbildung, Lehrzeit und der Vergleich der beiden Schulsysteme war auch für mich spannend», sagt er. «Die Betreuung durch die Lehrkräfte des BZI und der Schule aus Deutschland war vorbildlich.» Er sei froh, dass er seinem Lernenden einen Einblick in die Berufswelt unseres Nachbarstaates ermöglichen konnte. Ein solcher Austausch sei in erster Linie eine wertvolle Horizonterweiterung und Lebenserfahrung. «Und vielleicht bringt es längerfristig auch ein besseres Verständnis für die Mentalitäten der teilnehmenden Länder und deren Menschen», sinniert er abschliessend.
Frischer Wind im Betrieb
Auch Eveline Frutiger, Leiterin Personal der Bank EKI in Interlaken, ist von den Vorzügen des Mobilitätsprojekts des BZI überzeugt. Zwei ihrer Lernenden konnten im Rahmen eines Austausches drei Wochen nach London, wo sie in einer Non-Profit-Organisation tätig waren. Sie arbeiteten jeweils am Vormittag und besuchten am Nachmittag die Sprachschule. «Alles war vorbildlich organisiert», sagt sie. «So ein Aufenthalt ist eine tolle Möglichkeit, aus der Komfortzone zu kommen und tut grundsätzlich allen gut.» In die Welt zu ziehen und zu schauen, wie es da so laufe, sei eine wertvolle Erfahrung, auch wenn es nur drei Wochen wären. Die Leiterin Personal hat beobachtet, dass die Lernenden voller Motivation und Elan von einem solchen Aufenthalt zurückkommen. «Sie sind selbstbewusster, bringen neue Kompetenzen mit und damit frischen Wind in den Betrieb. Das tut auch uns gut, und die nächsten Lernenden können sich für ein Mobilitätsprojekt inspirieren.»
Pluspunkt bei Selektion
Natürlich verbessern die Lernenden mit einem solchen Aufenthalt auch ihre Kompetenzen in der Fremdsprache. Für Eveline Frutiger hat der Zuwachs an Selbstvertrauen jedoch den höheren Stellenwert. «Im Vorfeld sind die Lernenden zum Teil nervös, weil sie nicht genau wissen, was sie erwartet, und sind gespannt auf die Gastfamilie. Aber sie überwinden sich – und das hat nur Vorteile.« Wenn immer möglich unterstützt Eveline Frutiger Mobilitätswünsche der Lernenden. «Wir wollen ihnen die Chance geben, so viel wie möglich von ihrer Ausbildung bei uns zu profitieren», sagt sie. «Solche Aufenthalte sind einmalige Gelegenheiten.» In ihren Augen steigert dies die Attraktivität der Bank EKI als Arbeitgeberin. «Man nimmt zur Kenntnis, dass wir solche Einsätze ermöglichen. Das spricht sich herum und ist für uns ein wichtiger Pluspunkt bei der Rekrutierung.»
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