Jedes Jahr gehen im Kanton Bern rund 170 neue Lehrbetriebe an den Start. Das ist erfreulich. Doch der Start will gut vorbereitet sein, damit er gelingt. Was es dazu braucht, erklärt Ausbildungsberater Philipp Thommen.
Rolf Marti

Philipp Thommen, warum entscheiden sich Betriebe, Lehrbetrieb zu werden?
Im Vordergrund steht das Bedürfnis, künftige Fachkräfte für den Betrieb oder die Branche zu sichern. Manchmal geht es auch um Image, Berufsstolz oder finanzielle Aspekte. Sogar private Motive können den Ausschlag geben. Das Göttikind braucht bspw. eine Lehrstelle …
Leichtfertig sollte man den Entscheid, Lernende auszubilden, aber nicht fällen.
Nein. Man muss stetig eine qualitätsvolle Grundbildung gewährleisten können. Das setzt fachliches Know-how, personelle Ressourcen, einen geeigneten Arbeitsplatz und gute Planung voraus. Hinzu kommt die Bereitschaft, junge Menschen auch auf persönlicher Ebene zu begleiten.
Nehmen wir an, der Entscheid ist gefasst. Was gibt es zu tun bis zum Lehrstart?
Man sollte sich für die Vorbereitung mindestens ein halbes Jahr Zeit nehmen. Dazu gehört, dass man im Betrieb eine Ausbildungskultur etabliert, dass man eine Berufsbildnerin bzw. einen Berufsbildner bestimmt, dass man ein betriebliches Ausbildungskonzept erarbeitet sowie die vom Gesetz vorgeschriebenen Schutzkonzepte erstellt.
Betrachten wir diese Punkte im Detail. Wie etabliert man eine Ausbildungskultur?
Der Entscheid, Lehrbetrieb zu werden, sollte mit den Mitarbeitenden im Betrieb abgestimmt werden. Sie begleiten die Lehrzeit als Fachkräfte und Arbeitskollegen. Und: Lernende ticken anders als ältere Mitarbeitende. Das verändert das Betriebsklima. Ist das Commitment da, muss das Team auf die neue Situation vorbereitet werden. So müssen etwa Verhaltensregeln und Rollen definiert werden.
Zentral ist die Funktion der Berufsbildenden. Welche Eigenschaften sollten diese Personen mitbringen?
Fachkompetenz, Freude am Beruf, pädagogisches Flair und die Motivation, mit Jugendlichen zu arbeiten. Fachliche Kompetenz sowie Freude am Beruf sind die Grundvoraussetzung. Pädagogisches Flair bedeutet, die Balance zu finden zwischen einer klaren Erwartungshaltung und dem Verständnis, dass Lernende eine starke Persönlichkeitsentwicklung durchleben. Was die Motivation betrifft: Man muss bereit sein, sich auf die junge Generation einzulassen, kritische Fragen auszuhalten, den Kontakt mit den anderen Lernorten sowie Mitarbeitenden und Eltern zu pflegen und vieles mehr. Die Funktion ist vielfältig, interessant, aber anspruchsvoll. Wichtig: Die Rolle der Berufsbildenden muss im Betrieb verankert werden. Allen muss klar sein, dass diese Aufgabe Ressourcen bindet.
Welche formalen Voraussetzungen werden verlangt?
Es braucht ein eidg. Fähigkeitszeugnis im jeweiligen Beruf, zwei Jahre Berufserfahrung und den vierzigstündigen Kurs für Berufsbildende. In einigen Berufen werden zusätzliche Anforderungen gestellt.
Was lernt man im Berufsbildnerkurs?
Das Spektrum reicht von gesetzlichen Grundlagen über Planungs- und Umsetzungsfragen bis hin zu psychologischen Themen wie dem Umgang mit der jungen Generation. Viele Kurse werden berufsspezifisch durchgeführt, der Kursausweis gilt aber für alle Berufsfelder. Im Kurs kann man zudem ein Netzwerk für den Erfahrungsaustausch knüpfen.
Jeder Lehrbetrieb muss ein betriebliches Ausbildungskonzept erstellen. Wie geht das?
Der Bildungsplan schreibt vor, welche Bildungsziele erreicht werden müssen. Das Ausbildungskonzept gibt die betrieblichen Ausbildungsziele bzw. die pro Semester zu vermittelnden Kompetenzen vor. Bei der Arbeitsplanung der Lernenden muss der Betrieb den aktuellen Ausbildungsstand berücksichtigen. Viele Organisationen der Arbeitswelt stellen Raster zur Verfügung, an denen man sich orientieren kann. Geplant werden muss aber individuell.
Das Gesetz schreibt verschiedene Schutzkonzepte vor – zur Arbeitssicherheit, zum Gesundheitsschutz oder gegen sexuelle Belästigung. Klingt nach Arbeit.
Diese Konzepte muss jeder Arbeitgeber haben – ob er Lehrbetrieb ist oder nicht. Wir überprüfen vor dem Erteilen der Bildungsbewilligung, ob alles vorliegt. Wo nicht, müssen die Betriebe nachbessern. Auch für diese Konzepte gibt es Vorlagen. Aber sie nützen wenig, wenn die entsprechende Haltung nicht im Betrieb gelebt werden. Das ist anspruchsvoller als das Erstellen von Konzepten.
Was können neue Lehrbetriebe von der Ausbildungsberatung erwarten?
Wir begleiten die Lehrbetriebe von der Eignungsabklärung über die Vorbereitung auf die neue Rolle bis zur Umsetzung. Die Betriebe dürfen sich jederzeit mit Fragen an uns wenden. Bei Bedarf klären wir Fragen vor Ort oder vermitteln Kontakte zu erfahrenen Fachpersonen. Wir sind Dienstleister und suchen gemeinsam mit den Betrieben nach guten Lösungen.
Lehrbetrieb werden
Lehrbetriebe brauchen für jeden Lehrberuf eine Bildungsbewilligung des Mittelschul- und Berufsbildungsamts des Kantons Bern
Berufsbildner/-in werden
Berufsbildende brauchen Basiswissen zur Berufsbildung sowie pädagogische Kompetenzen. Beides vermittelt der 40-stündige Kurs für Berufsbildende: Link
Lehrbetriebe tragen Verantwortung
Lehrbetrieb haben gegenüber Lernenden dieselben Rechte und Pflichten wie gegenüber allen Arbeitnehmenden. Ergänzende Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Zweck des Lehrverhältnisses sowie aus der Tatsache, dass viele Lernenden minderjährig sind. Link
Checklisten, Merkblätter & Co.
Website Kanton Bern
- Übersicht Anforderungen an den Lehrbetrieb
- Vorlage Präventionskonzept gegen sexuelle Belästigung
- Lehrbetriebsportal
Website berufsbidung.ch
- Checkliste Planen der betrieblichen Grundbildung
- Checkliste Lehrstart vorbereiten
- Checkliste Führen und motivieren
- Merkblätter zu Gewalt, sexuelle Belästigung, Rassismus u. a Themen.
- Vorlagen Reglement gegen sexuelle Belästigung
- Arbeitssicherheit: Rechte und Pflichten Arbeitgebende (SUVA)
- Arbeitssicherheit: 10 Schritte für eine sichere Lehrzeit (SUVA)
Jede Woche erscheint in Berner Tageszeitungen der «Einsteiger» – ein redaktioneller Beitrag zu den Themen Berufswahl, Berufsbildung, Mittelschulbildung, Weiterbildung.
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