Er ist ein Tausendsassa der Berufsbildung: Michael Raaflaub hat das Lehrstellennetz, die Berner Lehrstellenbörse, die virtuelle Berufsmesse in Berner Schulen und die interaktive Berufswahlplattform «Lehrberufe Live!» initiiert (siehe Kasten).
Rolf Marti
Michael Raaflaub, warum Berufsbildung?
Meine KV-Lehre war eher unglücklich. Es musste besser werden … (lacht).
Welchen Beruf würden Sie heute wählen?
Trockensteinmaurer oder Solarteur. Beide Tätigkeiten sind sinnvoll. Und: Ich wäre mit beiden Berufen ein gefragter Mann.
Sie dürfen einen Lehrberuf erfinden. Wie heisst er, was lernt man?
Beziehungsmanager EFZ. Beziehungen prägen das Privat- und das Berufsleben. Nur kann man dieses «Handwerk» nirgendwo lernen. Gleiches gilt für die Elternschaft. Es bräuchte also auch ein Eltern-EFZ. Was Letzteres betrifft: Mit meiner Erfahrung als Vater von drei Jungs würde ich mich mittlerweile immerhin getrauen, nach Artikel 32 direkt an die EBA-Prüfung zu gehen.
Sie haben schon anderes als einen Lehrberuf erfunden. Zum Beispiel die virtuelle Berufsmesse in Schulen oder die Berufswahlplattform «Lehrberufe Live!». Welche Innovation fehlt in der Berufsbildung noch?
Ein Zufallsgenerator, der Jugendlichen eine Auswahl an Lehrberufen empfiehlt. Berufswahl ist stark sozial geprägt, das schränkt das Auswahlspektrum ein, was den Jugendlichen Chancen verbaut. Fragen Sie mal an einer Veranstaltung, wie die Leute zu ihrem Beruf gekommen sind. Die meisten werden sagen: reiner Zufall.
Stimmen Sie den folgenden Aussagen zu, ja oder nein? Begründen Sie Ihre Antwort in einem Satz. Die Schweiz braucht mehr Akademikerinnen und Akademiker.
Ja, wenn die Frage auf die gesamte Tertiärstufe zielt – also auf A und B inklusive höherer Berufsbildung.
Künstliche Intelligenz wird schon bald viele Lehrberufe überflüssig machen.
Nein. Alle technischen Innovationen haben bisher mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet. Aber die Anforderungsprofile werden sich wandeln und in der Tendenz anspruchsvoller werden.
In zehn Jahren werden wir wieder einen Lehrstellenmangel haben.
Ja, wir werden wieder Lehrstellenmangel haben. Auf den Zeitpunkt würde ich mich allerdings nicht festlegen. Fakt ist: Der Lehrstellenmarkt ist konjunkturabhängig. Die nächste Wirtschaftskrise kommt so sicher wie das nächste Qualifikationsverfahren.
Zum Schluss: Wenn Ihre drei Söhne alle ans Gymnasium wollen – sind Sie dann enttäuscht?
Der quartierbezogene Erwartungsdruck spricht fürs Gymnasium. Aber ich werde meine Jungs weder in die eine noch in die andere Richtung beeinflussen. Bezogen auf den späteren beruflichen Erfolg ist der Bildungsweg heutzutage irrelevant.
Zur Person
Michael Raaflaub ist mit einer kaufmännischen Grundbildung ins Berufsleben gestartet und hat anschliessend die Berufsmaturität, die Fachhochschule (Betriebswirtschaft) und den Master of Science an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung absolviert. Er hat das Lehrstellennetz aufgebaut und ist Mitinhaber der Agentur berufsmarketing:lab.
Projekte
- Lehrstellennetz/Lehrstellenbörsen: Das Lehrstellennetz bringt Lehrbetriebe und Lehrstellensuchende im Kanton Bern zusammen. Beispielsweise mit Lehrstellenbörsen. Über 150 Betriebe und Organisationen, Schulen und Brückenanbieter partizipieren. Das Lehrstellennetz wird von Gemeinden, dem Kanton, dem Bund und dem BIZ Kanton Bern unterstützt. www.lehrstellennetz.ch
- Virtuelle Berufsmessen: Lernende wandern als Augmented Reality-Figuren durch die Oberstufenschulen. Handy zücken, QR-Code scannen: schon stehen die Lernende scheinbar im Raum und erzählen von ihrer Lehre. www.lehrstellennetz.ch/virutell
- Lehrberufe Live!: Viermal pro Jahr senden Lernende via Handy-Stream aus ihrem Lehrbetrieb in den Berufswahlunterricht der Volksschule. Sie erzählen von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen mit der Lehre. Die Schülerinnen und Schüler können im Chat Fragen stellen. Alle Streams werden auf der Plattform gesammelt und können jederzeit zur beruflichen Orientierung genutzt werden. Nächste Ausgabe: Mittwoch, 13. September 2023, 10:30 11:15 Uhr. www.lehrberufe-live.ch
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