Sie leitet einen Betrieb mit 110 Mitarbeitenden und 950 Lernenden. Sie ist Zirkusfrau, Lehrerin, Berufsfachschullehrerin, Verwaltungsratsmitglied, hat ein Herz für Tiere und ein Faible für die Champagne. Und sie beantwortet neun knifflige Fragen.
Peter Brand
Sie haben in jungen Jahren eine Ausbildung im Zirkus absolviert. Wie kam es dazu?
Ich war von klein auf dem Sport und dem Theater zugeneigt und stand bereits in der Oberstufe als Statistin auf der Bühne des Stadttheaters Bern. Mein Vater war zu dieser Zeit als Lehrer am Zirkus Nock tätig. So verbrachte ich alle meine Ferien im Zirkus und absolvierte dort sogar mein 9. Schuljahr. Ich war begeistert von der Artistik und entschied mich in der Folge, die Staatliche Zirkusschule in Budapest zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt war ich 16-jährig, es war kurz nach dem Mauerfall.
Was haben Sie damals gelernt, was Ihnen heute noch nützlich ist?
Der Aufenthalt in Ungarn war eine Lehre fürs Leben. Ich betrieb vor allem Seiltanz – was mir heute noch hilft, die Balance nicht zu verlieren. Ich lernte, Mut für Neues zu haben und optimistisch an die Dinge heranzugehen. Zudem erlebte ich, dass auch Talent viel Einsatz erfordert, um vorhandene Fertigkeiten zu festigen. Eine weitere Erkenntnis: Wer mit Leidenschaft dabei ist, kann viel leisten und erreichen.
Artistin, Jongleurin, Dompteurin, Clown – welches ist Ihre liebste Rolle?
Natürlich diejenige der Zirkusdirektorin (lacht). Im Ernst: Mich begleiten alle Rollen. Ich muss einen Spagat zwischen zwei Standorten sowie zwischen Kanton und Privatschule machen. In meiner Funktion jongliere ich selbstredend auch mit Zahlen. Der Humor darf im Alltag nicht zu kurz kommen. Ein Tag ohne Lachen ist für mich kein Tag. Und in gewissen Situationen braucht es mich auch als Dompteurin.
Ihre Manege ist heute die Berner Berufsfachschule für medizinische Assistenzberufe. Vom Zirkus in die Berufsbildung – diesen Hochseilakt müssen Sie uns erklären.
Ich musste die Artistenausbildung aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, absolvierte in der Folge das Lehrerseminar, unterrichtete an der Oberstufe und später an der Berufsfachschule. Im Zirkus pflegt man zu sagen: «Wer einmal Sägemehl in den Schuhen hatte, wird es nicht mehr los.» Im Kontext der Schule ist das ähnlich. In einem Aufsatz hielt ich in der ersten Klasse fest: «Ich will Lehrerin werden, weil mein Papi Lehrer ist, weil ich so viele Lehrer kenne und weil ich gerne an die Wandtafel schreibe.»
Ihre Schule bildet Assistentinnen und Assistenten für die Bereiche Medizin, Zahnmedizin und Tiermedizin aus. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt – welcher Besuch fällt Ihnen persönlich am leichtesten?
Der Tierarztbesuch. Meine beiden Hunde und mein Kater bedeuten mir sehr viel. Ihr Wohl liegt mir am Herzen. Ich assistiere daher mit viel Freude und Interesse und übernehme gerne nachfolgende Pflegearbeiten, was auch immer das sein mag.
Welcher Gang ist der schwerste?
Wiederum derjenige zum Tierarzt – wenn es darum geht, über Leben und Tod zu entscheiden.
Bitte rücken Sie folgende Sätze zurecht. Mittlerweile sind die männlichen Lernenden bei uns in der Überzahl …
So weit sind wir leider noch nicht ganz. Aktuell sind nur gerade 5 Prozent unserer Lernenden Männer. Es wäre schön, mehr davon in den medizinischen Assistenzberufen, aber auch in unserem Lehrkörper zu haben. Eine diverse Belegschaft ermöglicht, die verschiedenen Perspektiven, Fähigkeiten und Herangehensweisen gemeinsam auszutauschen.
Die Berner Berufsbildung wird massgeblich von Frauen geprägt …
Nimmt man die be-med, stimmt das sicherlich. Ansonsten sind die Männer nach wie vor in der Überzahl. Es gibt beispielsweise an den Berner Berufsfachschulen nur gerade zwei Direktorinnen. Da gibt es Luft nach oben.
Der Beruf Fachmann respektive Fachfrau Champagner EFZ gehört längst anerkannt …
Unbedingt. Dann könnten wir unseren eigenen be-med-Champagner produzieren und müssten ihn nicht einführen lassen. Da die Marke Champagner geschützt ist, wäre das der perfekte Anlass, unser duales Bildungssystem nach Frankreich zu bringen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, eine Berufsfachschule in der Champagne, wo ich jetzt schon viel Zeit verbringe, zu leiten.
Zur Person
Rahel Räz startete mit einer Artistenausbildung ins Berufsleben. Anschliessend absolvierte sie das damalige Lehrerseminar. In der Folge unterrichtete sie 11 Jahre an der Oberstufe Belp, nach dem Abschluss als Berufsschullehrerin für den allgemeinbildenden Unterricht 16 Jahre an der gibb Berufsfachschule Bern und der be-med AG. Seit 2023 leitet sie die Berner Berufsfachschule für medizinische Assistenzberufe be-med AG. Sie ist zudem Mitglied des Verwaltungsrates der hep Verlag AG.
Jede Woche erscheint in Berner Tageszeitungen der «Einsteiger» – ein redaktioneller Beitrag zu den Themen Berufswahl, Berufsbildung, Mittelschulbildung, Weiterbildung.
Mit dem kostenlosen Newsletter-Abonnement verpassen Sie keinen Beitrag im Berufsbildungsbrief. Der Newsletter erscheint fünf- bis sechsmal pro Jahr.