Er leitet beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI den Bereich Berufs- und Weiterbildung; er leitet die Tripartite Berufsbildungskonferenz TBBK; und er bereitet das Spitzentreffen der Berufsbildung vor. Ist Rémy Hübschi die mächtigste Person der Schweizer Berufsbildung? Wir haben nachgefragt.
Rolf Marti
Starten wir mit drei Behauptungen. Erste Behauptung: Die Berufsbildung ist eine verbundpartnerschaftliche Aufgabe. Aber Sie sagen, wo es lang geht.
Nein, das Schweizer Erfolgsrezept sieht anders aus: In der Berufsbildung arbeiten Bund, Kantone und Wirtschaft zusammen. Wo es lang geht, bestimmen auch globale Trends, der Arbeitsmarkt und die Politik. Dem Bund kommt die Rolle zu, Bedürfnisse einzuordnen und gemeinsam mit den Verbundpartnern gute Lösungen zu finden. Ich sehe mich in diesem Prozess eher als Taktgeber und Moderator.
Zweite Behauptung: Die Berufsbildung wird in der Schweiz überbewertet. In den umliegenden Ländern ist sie auf dem Rückzug.
Die Berufsbildung wird eher unterbewertet. Die Schweiz fährt hervorragend damit. Weil man Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Leistungsbereitschaft und Kreativität in der Praxis besser entwickelt als auf der Schulbank. Kurz: Arbeiten lernt man in der Praxis. Deshalb ist die Berufsbildung alles andere als ein Auslaufmodell.
Dritte Behauptung: Ohne Gymnasium keine Karriere. Rémy Hübschi ist der Beweis.
Mein Werdegang von der kaufmännischen Grundbildung an die Universität zeigt primär, dass unser Bildungssystem durchlässig ist. Karriere kann man genauso gut ohne Uni-Abschluss machen. Dafür gibt es genügend Beispiele. Kommt hinzu, dass wir Karriere nicht nur als «Aufstieg in der Hierarchie» verstehen sollten. Wer sich spezialisiert und immer tiefer in ein Fachgebiet vordringt, macht auch Karriere. Entscheidend ist der Wille, sich beruflich zu entwickeln.
Was haben Sie im KV gelernt, das Ihnen auch heute noch von Nutzen ist?
Sozialkompetenz. Als Lernender musste ich mich in einem grossen Unternehmen und in unterschiedlichen Teams bewähren. Das hat mich geprägt. Und: Wenn ich heute über Lernende spreche, weiss ich, wovon ich rede.
In der Schweiz gibt es rund 250 Grundbildungen. Welche fehlt noch?
Der Staat sollte keine Berufe erfinden. Das ist Sache der Wirtschaft. Nur so viel: Nicht jedes wirtschaftliche Bedürfnis rechtfertig einen Beruf. Grundbildungen müssen eine gewisse inhaltliche Breite aufweisen. Die Spezialisierung ist Sache der höheren Berufsbildung.
Welche Highlights bringt das Jahr 2024 aus Sicht der Berufsbildung?
Erstens: Die Berufsbildung wird wiederum der Mehrheit der Schulabgängerinnen und Schulabgänger den Einstieg ins Erwerbsleben ermöglichen. Zweitens: Wir werden an den WorldSkills in Lyon viele positive Emotionen erleben. Drittens: Der Bundesrat wird die Frage des Professional Bachelors und Professional Masters einen wichtigen Schritt weiterbringen. Überdies ist es mir ein Anliegen, dass wir uns auch 2024 Gedanken darüber machen, wo wir in der Berufsbildung stehen und was die Herausforderungen sind.
Die da wären?
Wir sollten uns fragen, ob die Berufsbildung noch attraktiv genug ist, um gegenüber der Allgemeinbildung zu bestehen. Wenn nein: Wo müssen wir schrauben? Dann: Wie gewinnen wir mehr junge Frauen für die Berufsbildung? Wie sichern wir die hohe Ausbildungsbereitschaft der Betriebe? Schliesslich: Wie verhindern wir, dass anspruchsvollere Berufe zunehmend in schulische Angebote verlagert werden?
Womit beschäftigen Sie sich lieber als mit Berufsbildung?
Am liebsten beschäftige ich mich mit meinen Liebsten. Dann interessieren mich Zeitfragen. Warum geraten Werte wie Demokratie oder Menschenrechte derart unter Druck? Wie positioniert sich Europa in der multipolaren Welt, wie die Schweiz in Europa? Wie kann der Klimawandel sozial abgefedert werden? Und: Ich befasse mich liebend gerne mit meiner französischen Bulldogge – obwohl sie mich beim Joggen nicht begleiten mag ...
Zur Person
Rémy Hübschi (47) ist seit 2021 stellvertretenden Direktor des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Nach einer kaufmännischen Grundbildung absolvierte er das Gymnasium. Sein Studium an der Universität Bern schloss er mit dem Master of Science in Economics ab. Vor seinem Wechsel ins SBFI (2010) arbeitete Rémy Hübschi für die Eidgenössische Finanzverwaltung.
Jede Woche erscheint in Berner Tageszeitungen der «Einsteiger» – ein redaktioneller Beitrag zu den Themen Berufswahl, Berufsbildung, Mittelschulbildung, Weiterbildung.
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