93 Prozent der Schweizer Jugendlichen sind auf Instagram, 71 Prozent auf TikTok aktiv. Wie können Soziale Medien für das Berufsmarketing und die Rekrutierung von Lernenden genutzt werden? Ein Gespräch mit der Expertin Lisa Catena.
Rolf Marti
Sie erhalten ein Budget für eine Berufsmarketing-Kampagne. Wofür setzen Sie es ein?
Ich würde den grösseren Teil in eine Social Media-Kampagne investieren, den kleineren Teil in Berufsmessen. In ländlichen Regionen würde ich zudem in lokalen Printmedien inserieren. Digitale Kanäle werden wichtiger, analoge bleiben wichtig. Der richtige Mix machts aus.
Also «sowohl als auch» statt «entweder oder»?
Richtig. Was aber für digitale wie analoge Kanäle gilt: Junge Leute sind die besten Botschafterinnen und Botschafter für ihren Beruf. Sie geben ihm ein Gesicht, ihre Aussagen sind glaubwürdig – für Jugendliche und Eltern.
Wie entwickelt man eine stimmige Social Media-Kampagne?
Kurze Videos – sogenannte Reels – sind die wichtigste Währung. Bei der Realisierung vergisst man am besten alles, was man bezüglich klassisches Marketing gelernt hat. Soziale Medien verlangen Authentizität. Wer Reels wie ein Marketingvideo plant, hat bereits verloren. Gute Reels sind direkt und ungeschminkt. Marketingsprech und künstliche Inszenierung haben keine Chance. Das «perfekte» Imagevideo ist passé.
Wie erreicht man Authentizität?
In unseren Social Media-Kursen lassen wir jeweils zwei Teilnehmende einander erzählen, was ihnen an ihrem Beruf und an ihrem Lehrbetrieb gefällt. Würde man das filmen, hätte man bereits ein sehr authentisches Video. Wichtig ist: Jedes Video muss einen Mehrwert bieten. Man sollte etwas Relevantes über den Beruf oder das Unternehmen erzählen – oder aber sehr gut unterhalten.
Wie schafft man es, sich als Berufsverband oder Lehrbetrieb – beispielsweise auf TikTok – vor Jugendlichen nicht zu blamieren?
Regel 1: Man bindet die Lernenden in die Entwicklung und in die Umsetzung der Kampagne ein. Sie wissen, was bei den Peers ankommt. Regel 2: Man überlässt die Botschaft den Lernenden. Dann ist sie authentisch. Regel 3: Man produziert – wie gesagt – keine Werbevideos. Sie werden sofort weggewischt.
Übergibt man die Kampagne am besten gleich den Lernenden?
Nein. Sie sollten wesentlich daran mitwirken. Und man sollte ihrer Kreativität den nötigen Spielraum lassen. Sie müssen aber begleitet werden, schliesslich geht es um das Image des Berufs bzw. des Lehrbetriebs. Die Reels müssen diesem Anspruch genügen.
Also keine Jux-Videos für TikTok?
Niemand muss auf TikTok tanzen, um wahrgenommen zu werden. Man kann auf diesem Kanal durchaus mit Würde und Anstand Aufmerksamkeit erzeugen.
Auch wenn die Reels gut sind: Wie schafft man es, in der Flut der Posts nicht unterzugehen?
Es braucht eine Strategie, einen langen Atem und ein Team, das Freude hat, Content zu produzieren – also Leute mit einem Gespür für relevante Inhalte, einem Sinn für Unterhaltung und einem Flair für den Auftritt vor der Kamera. Dann gilt es, sukzessive eine Community aufzubauen, also Follower zu gewinnen. Dabei sollte man – wie beim Aufbau jeder Beziehung – nicht bereits beim ersten Date einen Heiratsantrag machen. Man lernt sich Schritt für Schritt kennen, fasst Vertrauen, öffnet sich.
Kann man in Sozialen Medien auch mit wenig Geld und vertretbarem Aufwand Erfolg haben?
Absolut. Dafür gibt es gute Beispiele (siehe Kasten). Entscheidend sind eine gute inhaltliche Planung und die Entwicklung von Standardformaten, sodass man nicht bei jedem Video von vorne beginnen muss. Mit einem Arbeitsaufwand von einem Arbeitstag pro Monat kann man genügend Videos produzieren, sodass man drei pro Woche ausspielen kann.
Best Practice
Diese Social Media-Kampagnen erachtet Lisa Catena als gelungen:
Das «Must» und das «No-Go»
- Must: TikToks sollen inspirieren, Wissen vermitteln oder unterhalten. Im Idealfall ist es eine Mischung aus mindestens zwei dieser Komponenten.
- No-Go: Die perfekt inszenierte Instagram-Welt ist passé. Jetzt ist die authentische, unperfekte TikTok-Welt an der Reihe.
Zur Person
Lisa Catena ist Expertin für digitales Marketing und die Anwendung künstlicher Intelligenz in der Kommunikation. Sie ist Mitinitiantin von «Lehrberufe Live!», der ersten interaktiven Berufswahlplattform der Schweiz, leitet Kurse für TikTok und KI und hat die Agentur berufsmarketing:lab mitbegründet.
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