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5. Kosten-Nutzen-Erhebung – «Lernende sind viel mehr als ein Kostenfaktor»

Ausbilden rentiert: Das zeigt die fünfte Kosten-Nutzen-Erhebung zur beruflichen Grundbildung aus Sicht der Betriebe. Sie verdienen im Schnitt 4500 Franken pro Lehrverhältnis und Lehrjahr. Erstmals erhoben wurde die Ausbildungsqualität. Co-Studienleiter Alexander Gehret* von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB erläutert zentrale Ergebnisse.

Rolf Marti

«Bei fast 80 Prozent der Betriebe ist die Ausbildungsqualität befriedigend bis sehr gut», sagt Alexander Gehret.

Weshalb ist es für die Berufsbildung wichtig, dass Lernende ausbilden rentiert?
Damit die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe hoch bleibt, muss sich Ausbilden lohnen. Würde sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis verschlechtern, würden weniger Lehrstellen angeboten.

Mit Lernenden kann man 47 000 Franken verdienen (Elektroinstallateur/in) oder 17 000 Franken verlieren (Polymechaniker/in – siehe Grafiken). Welche Faktoren beeinflussen die Rentabilität?
Wir haben den Nettonutzen verschiedener Berufe berechnet – also die Differenz zwischen den produktiven Leistungen der Lernenden und den Ausbildungskosten für den Betrieb. Je schneller Lernende produktiv arbeiten können, desto höher der Nutzen. Elektroinstallateure übernehmen früh Aufgaben, die sonst Fachkräfte ausführen würden. Demgegenüber müssen Polymechanikerinnen zuerst intensiv geschult werden, bevor sie produktiv einsetzbar sind. Einfluss auf den Nettonutzen hat auch der Lohn der Lernenden. Je höher der Lohn, desto tiefer der Nutzen. Das bedeutet aber nicht, dass die Betriebe Geld verlieren – sie investieren es in ihre Lernenden.

Weshalb bilden Betriebe auch aus, wenn sie während der Lehrzeit Geld verlieren?
In allen von uns beobachteten Berufen mit negativem Nettonutzen während der Ausbildung zeigt sich: Eine Mehrheit der Lernenden arbeitet nach der Ausbildung im Betrieb weiter. So spart er hohe Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten, was die ungedeckten Ausbildungsinvestitionen kompensiert. Die Betriebe sind offenbar in der Lage, den jungen Berufsleuten attraktive Perspektiven zu bieten, und erzielen dank ihrer Weiterbeschäftigung ebenfalls einen Nutzen.

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Berufslehre wurde seit 2003 fünfmal evaluiert. Liefert die neueste Erhebung überraschende Erkenntnisse?
Das Überraschendste: Es hat sich wenig verändert – trotz Finanz-, Franken- und Coronakrise sowie digitaler Transformation. Alle Erhebungen zeigen: Die Balance zwischen Kosten und Nutzen stimmt.

Die Erhebung macht erstmals Aussagen zur Ausbildungsqualität. Wie lautet Ihr Fazit?
Wir haben die Betriebe zu verschiedenen Aspekten befragt – zum Beispiel dazu, wie sie die Ausbildung organisieren und planen, aber auch, ob sie den Lernenden Verantwortung übertragen, ihnen regelmässig Feedback geben und ihnen erlauben, eigene Lösungswege für Herausforderungen zu finden. Bei fast 80 Prozent der Betriebe ist die Ausbildungsqualität gemäss dieser Rückmeldungen befriedigend bis sehr gut.

Die Lehrbetriebe haben sich selbst eingeschätzt. Wie aussagekräftig sind solche Resultate?
Die Betriebe stufen sich tendenziell besser ein, als wenn man die Lernenden befragt. Frühere Erhebungen zeigen aber, dass beide Seiten dieselben positiven und kritischen Punkte identifizieren, wenn auch mit etwas anderer Bewertung. Unsere Erhebung lässt daher durchaus relative Aussagen zur Ausbildungsqualität zu.

15 Prozent der Lehrbetriebe beurteilen ihre Ausbildungsqualität als unterdurchschnittlich. Was bedeutet das für die Lernenden?
Es bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Betriebe schlecht ausbilden. Aber sie fallen gegenüber den anderen ab. Wir sollten ihnen aufzeigen, wie sie die Ausbildungsqualität verbessern können. Davon profitiert nebst den Lernenden auch der Betrieb. Erstens, weil gut ausbildende Betriebe motiviertere und leistungsbereitere Lernende finden, zweitens, weil gute Ausbildungsbedingungen zur Attraktivität der Berufsbildung beitragen.

Welche Forderungen leiten Sie aus der neuen Erhebung ab?
Wir fordern nicht, wir liefern Grundlagen. Wir zeigen auf, wie sich Kosten und Nutzen auf die Ausbildungsbereitschaft auswirken. Auf dieser Basis können die Verbundpartner Entscheidungen treffen. Zwei Botschaften scheinen mir aber zentral. Erstens: Lernende sind viel mehr als ein Kostenfaktor – sie leisten wertvolle produktive Arbeit. Im Gegenzug dürfen sie eine adäquate Ausbildungsqualität erwarten. Zweitens: Kosten und Nutzen müssen in einem gesunden Verhältnis stehen. Hierauf sollte bei den regelmässigen Überprüfungen der Bildungspläne geachtet werden.

*) Alexander Gehret ist Ökonom MSc und diplomierter Betriebsökonom FH. Er arbeitet seit 2016 an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB.

Zentrale Ergebnisse im Überblick

  • Über alle Lehrberufe betrug der durchschnittliche Nettonutzen im Ausbildungsjahr 2022/23 gut 4500 Franken pro Lehrjahr und Lehrverhältnis. Der Nettonutzen ist die Differenz zwischen der produktiven Arbeit der Lernenden und den Ausbildungskosten.
  • Der durchschnittliche Nettonutzen liegt bei der EBA-Lehre bei 9630 Franken, bei der dreijährigen EFZ-Lehre bei 13 940 Franken, bei der vierjährigen EFZ-Lehre bei 17 510 Franken.
  • Die Differenz zwischen dem höchsten (Elektroinstallateur/in EFZ: 47 210.–) und dem tiefsten Nettonutzen (Polymechaniker/in EFZ: – 17 010.–) beträgt über 64’000 Franken.
  • Die lehrbegleitende Berufsmaturität (BM1) reduziert den Nettonutzen um durchschnittlich 3000 Franken. Grund: die vermehrte Abwesenheit der Lernenden.
  • Lernende tragen pro Jahr rund 5,7 Milliarden Franken zur Wertschöpfung der Schweiz bei. Dem stehen die Ausbildungskosten der Betriebe von rund 5 Milliarden gegenüber.
  • 80 Prozent der Betriebe sind mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis der Ausbildung eher oder sehr zufrieden.
  • 82 Prozent der Betriebe finden die im Bildungsplan festgelegten Ausbildungsinhalte relevant. 19 Prozent vermitteln in der Ausbildung zusätzliche Qualifikationen.
  • Das wichtigste Ausbildungsmotiv sehen die Betriebe darin, eine Leistung für die Gesellschaft zu erbringen. Ökonomische Motive gewinnen aber an Bedeutung.
  • Zur Studie

Nettonutzen der häufigsten Grundbildungen

 

EBA-Grundbildungen zweijährig

 

EFZ-Grundbildungen dreijährig

 

EFZ-Grundbildungen vierjährig

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